Positionspapier Maßnahmen Corona

Positionspapier des Stadtjugendrings Freiburg zu den Maßnahmen während der Corona-Pandemie

Die momentane Ausnahmesituation, ausgelöst durch die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zur Bekämpfung ihrer Auswirkungen, stellen die Gesellschaft insgesamt und Kinder und Jugendliche im Speziellen vor lange nicht da gewesene Herausforderungen. Die Darstellung junger Menschen als vielfach unvernünftige und leichtsinnige, „Corona-Partys“-feiernde Gruppe, trifft dabei nicht unsere wahrgenommene Realität. Wir erleben junge Menschen als Gruppe, die besonders hart von Maßnahmen getroffen wird und viel, ohne Mitsprachemöglichkeiten, hinnehmen soll. Gleichzeitig nehmen wir eine Gruppe wahr, die pragmatisch und kreativ mit der Situation umgeht, in kürzester Zeit Neues entwickelt und so zu einer wesentlichen Verbesserung der Lebenssituation von vielen beiträgt. So werden von unseren Mitgliedsvereinen z.B. Gruppenstunden digital abgehalten, YouTube-Programme zur Beschäftigung sowie online Foto- und Videoaktionen organisiert oder auch solidarische Einkaufshilfen für Risikogruppen angeboten. Der Stadtjugendring sieht jedoch dringenden Diskussionsbedarf mit Verantwortungsträger*innen auf Landes- und Bundesebene sowie bezüglich der Ausgestaltung durch Stadtpolitik und -verwaltung in folgenden Punkten:

 

  1. Gelebte Jugendbeteiligung – auch in der Krise
    Leider wurden bei der Entwicklung der Maßnahmen junge Menschen bisher kaum beteiligt. So wurden insbesondere zum Beispiel die Entscheidungen über die Öffnungen von Schulen oder die Durchführung von Abiturprüfungen ohne Beteiligung getroffen, was wir sehr bedauern. Diesbezüglich halten wir nach wie vor an unserer Position fest, dass junge Menschen Experten ihrer eigenen Lebensrealität sind und ihre Expertise deshalb unverzichtbar ist. Zudem ist die Jugendbeteiligung ein wichtiges Element der Demokratiebildung und schafft Akzeptanz für Entscheidungen. Dort lernen junge Menschen ihre Meinung zu vertreten und machen erste Erfahrungen damit, dass ihre Stimme zu Veränderungen führen kann. Wenn Kinder und Jugendliche diese Erfahrungen nun über einen längeren Zeitraum nicht mehr machen können, kann dies dazu führen, dass sie sich an gesellschaftlichen Fragen zukünftig nicht beteiligen.
    Bei der Umsetzung der Maßnahmen zur Jugendbeteiligung fordern wir deshalb, auch in Zeiten von Corona, die von jungen Menschen selbst organisierten Strukturen verstärkt in den Blick zu nehmen und als wichtige Partner auf Augenhöhe bei der Beteiligung zu berücksichtigen.

 

  1. Perspektiven aufzeigen und Entwicklungschancen geben
    Zuletzt gab es bereits leichte Lockerungen der Maßnahmen. Hierbei wurde die Perspektive der Kinder und Jugendlichen allerdings kaum mitgedacht. Auch Kindern und Jugendlichen müssen klare Perspektiven aufgezeigt werden. Dabei müssen langfristige Folgen durch psychische Belastung und soziale Isolation verhindert werden. Die Maßnahmen dürfen nicht dazu führen, dass Kinder und Jugendliche auf unbestimmte Zeit in einer wichtigen Phase ihrer persönlichen Entwicklung zurückgestellt werden. Aus diesem Grund unterstützen wir die Forderung des Gesamtelternbeirats Freiburger Kitas die Kindertagestätten in Freiburg zeitnah für alle Kinder zu öffnen und fordern auch für alle Grundschüler*innen Perspektiven aufzuzeigen. Gerade Kleinkinder werden in ihrer Entwicklung eingeschränkt, wenn diese über Monate hinweg vom Kontakt mit Gleichaltrigen ausgeschlossen sind. Als relativ wenig gefährdete Gruppe tragen diese die Maßnahmen momentan überproportional mit. Wir fordern deshalb bei den weiteren Maßnahmen die Interessen und Bedürfnisse von jungen Menschen verstärkt in den Fokus der Planung zu rücken und gezielt in den Blick zu nehmen.

 

  1. Abbau sozialer Ungleichheit durch Infrastruktur und Bildung
    Des Weiteren treffen die aktuellen Corona-Maßnahmen Kinder und Jugendliche aus prekären oder schwierigen Verhältnissen härter als Kinder und Jugendliche aus guten sozialen und finanziellen Verhältnissen und verschärfen dadurch soziale Unterschiede. Dem gilt es entgegenzuwirken! Vielfach wird darauf verwiesen, dass Kinder und Jugendliche digitale Medien als Ersatz für physische Lern- und Begegnungsräume nutzen können. Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn geeignete Infrastruktur, zum Beispiel digitale Endgeräte und Drucker zur Verfügung stehen, und die Medienkompetenz hinreichend ausgeprägt ist. Insbesondere hier braucht es niederschwellige, unbürokratische und finanzielle Unterstützung und Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs sowohl für Kinder als auch deren Eltern.

 

  1. Kinderschutz braucht konstruktive Zusammenarbeit
    Darüber hinaus wurde der Kinderschutz teils vollkommen vernachlässigt. Gerade zu Beginn der Maßnahmen entstanden viele Unklarheiten bei Familien und Fachkräften darüber, wie die Hilfen zur Erziehung trotz der Einschränkungen weitergeführt werden können. Darüber hinaus verschärft der Rückzug ins Private potentielle Konfliktlagen in erheblichem Maße. Wir fordern, dass der Staat sein Wächteramt wieder vermehrt wahrnimmt. Dabei spielt vor allem die Zusammenarbeit mit freien Trägern der Jugendhilfe eine entscheidende Rolle für einen besseren Schutz für Kinder und Jugendliche in prekären Verhältnissen.

 

  1. Persönlichkeitsentwicklung ernst nehmen
    Kinder und Jugendliche brauchen Orte außerhalb der Kernfamilie, um Eigenständigkeit und Autonomie zu lernen sowie ihre Persönlichkeitsentwicklung voranzutreiben. Klar ist, dass nicht alle diese Orte, wie (Sport-)Vereine, Jugendtreffs etc., plötzlich wieder öffnen können. Allerdings muss diese Perspektive bei der Entwicklung und dem Beschluss weiterer Maßnahmen mitgedacht werden. Die Träger dieser Angebote müssen gegebenenfalls bei der Entwicklung geeigneter Alternativangebote, auch digital, unterstützt werden. Ferienfreizeiten und sonstige Aktionen der Jugendverbandsarbeit haben einen hohen gesellschaftlichen Wert als Bildungsorte, Freiräume der persönlichen Entfaltung und Reisemöglichkeit gerade auch für finanziell schlechter gestellte Kinder und Jugendliche. Mit Blick auf den Sommer braucht es hier besondere Unterstützung, um diese Aktivitäten gegebenenfalls in alternativen Formaten stattfinden lassen zu können. Darüber hinaus braucht es möglichst früh klare Rahmenbedingungen, in denen Aktivitäten der (verbandlichen) Jugendarbeit stattfinden können. Gegebenenfalls braucht es für die Umsetzung dieser Rahmenbedingungen und Auflagen finanzielle Unterstützung und fachliche Hilfen.

 

  1. Erhaltung der Strukturlandschaft
    Darüber hinaus muss der Erhalt der Strukturlandschaft für die Zeit nach der Krise sichergestellt werden. Dies beinhaltet, dass Hauptamt und Räume erhalten bleiben. Aktuell sind die Jugendverbände pragmatisch und stellen in Eigenorganisation auf digitale Formate um. Hier muss die finanzielle Unterstützung sichergestellt und die Möglichkeit geschaffen werden, diese neuen Formen der Jugendarbeit zu etablieren. Das beinhaltet auch die Sicherstellung finanzieller Förderung. Wir fordern eine Anerkennung und Würdigung dieses außergewöhnlichen Engagements.

 

Mit all diesen Punkten wird sichtbar, dass die Erfahrungen, die Kinder und Jugendliche in der aktuellen Situation machen, sich langfristig auf die Gesamtgesellschaft auswirken werden. Deshalb ist es wichtig, diese auch in politischen Diskussionen zu berücksichtigen!

Hier gibt es das Positionspapier als PDF.

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